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Buch des MonatsSchöne, heile Welt? herausgegeben von Christian Mürner, Adelheid Schmitz und Udo Sierck im Verlag Libertäre AssoziationenEine Empfehlung vom Infoladen Sabotnik ErfurtDas Buch trägt den Untertitel Biomedizin und die Normierung des Menschen. Gerade die immer wieder aufflackernde Diskussion um die Patentierung von menschlichen Genen im Zusammenhang mit der Entschlüsselung der DNA 1 führt diesen Normierungsanspruch der Biomedizin und ihr verwandter Wissenschaftsgebiete eindrucksvoll vor Augen. Das Buch widmet sich dem mittlerweile weitreichenden Thema in zwölf Beiträgen. Dabei werden sowohl aktuelle Entwicklungen in unterschiedlichen Sparten der Biomedizin beleuchtet, als auch die Entwicklung des bioethischen Diskurses grundsätzlich kritisiert.
Der abschließende Beitrag von Kathrin Braun beschäftigt sich dementsprechend mit der Frage: Kann man über alles reden?. Sie reflektiert hier die zwei wichtigsten bioethischen Diskussionen der letzten Jahre. Zum einen die Kontroverse um den australischen Bioethiker Peter Singer, dessen Veranstaltungen 1989 noch abgesagt werden mussten. In seinem Buch Should the baby live? schrieb er, das Töten von behinderten Neugeborenen sei kein Unrecht! Mittlerweile haben seine Forderungen, wenn auch in abgeschwächter Form, z.B. Einzug in den Richtlinien der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung 2 gehalten. Diese enthalten nämlich nicht nur, was der Name geschickt vertuscht, Anweisungen über den Umgang mit sterbenden Menschen. Nein, auch schwerstbehinderte Neugeborene werden erwähnt, in bestimmten Situationen sei eine Weiterbehandlung nicht sinnvoll. Damit entscheiden Ärzte (wieder) über den Lebenswert von Menschen! Zum anderen die Diskussion um die sogenannte Bioehtik-Konvention, die europäische Richtlinien im Umgang mit der Problematik Bioethik und Humanmedizin schaffen sollte. Nachdem ein geheimgehaltener (!) Entwurf in die Öffentlichkeit gelangte, entsponn sich eine kontroverse Diskussion, zum Beispiel um die Frage, ob an einwilligungsunfähigen PatientInnen neue Arzneimittel getestet werden dürfen! 3 Brauns Schlussfolgerungen aus der kritischen Reflexion der Diskussionen ist die Forderung nach einer basisdemokratischen, nicht von ExpertInnen dominierten Diskussion um die ethischen und praktischen Probleme der modernen Medizin. Ich möchte also resümieren, dass es im Konflikt um die Bioethik um Grundsatzfragen der Moral und der Organisation von Gesellschaft geht. Es geht um Überzeugungen, die nicht mehr in Verfahren aufzulösen sind und die die nicht-rationale Grundlage einer universalistischen, rationalen Moral bilden, und zwar die intuitive Überzeugung, dass der Grundsatz der Menschenwürde für alle Mitglieder der menschlichen Gattung gilt und dass die Unanfechtbarkeit der menschlichen Würde Menschenzüchtung und Menschenproduktion verbietet 4.
Dass einer solchen intuitiven Überzeugung neben wissenschaftlichem Ehrgeiz, der teilweise an Machbarkeitswahn grenzt oder einem uralten ausgrenzendem Druck gegen alles Abweichende vor allem eine wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Kalkulation oder schlichte Profitvisionen entgegenstehen, davon berichtet z.B. Rainer Hohlfeld in seinem Beitrag. Er geht auf die politische Ökonomie der Biomedizin ein, die längst auch von sozialpolitischen Globalplayern, wie UNESCO 5 erkannt (anerkannt?) wurde. In einem UNESCO-Report heißt es: In der Biotechnologie können wir einen humanitären Nutzen erwarten, aber dieser ist nicht der Grund für industrielle Investitionen; die humanitären und ökologischen benefits tauchen bestenfalls als sekundäre Konsequenz auf 6. Die Profitmaximierung ist der eigentliche Motor der Entwicklungen. Hierbei vollführt sich in der Biologie eine Entwicklung, die die Chemie schon vor mehreren Jahrzehnten durchlief. Nämlich weg von der organischen, hin zur synthetischen! Dies stellt einen Paradigmenwechsel in der Wissenschaft dar, der Mensch und seine Organe, Einzelteile, schließlich das Erbgut werden zur Baumasse von Humangenetikern und was Profit verspricht, wird erschaffen. Hohlfeld meint in diesem Zusammenhang, dass sich Medikamente in Zukunft ihre Krankheiten schon suchen werden (und nicht mehr umgekehrt) Hauptsache die Kasse stimmt! In der Reproduktionstechnologie bedeutet dies, neue Märkte zum Beispiel bei unfruchtbaren Männern zu suchen. Mit Hilfe der IVF In Vitro Fertilisation 7 wird hier geholfen. Ziel ist es aber eigentlich ...den Embryo aus der Dunkelheit der Gebärmutter an das Licht des Tages zu bringen. Dadurch wird sein genetisches Material zugänglich. Und es ist genau diese Fähigkeit, die Genetik zu lesen, zu verändern und dem Embryo hinzuzufügen, die die ganze Macht der IVF fühlbar werden lässt. 8, so der Molekulargenetiker Lee Silver. Doch was passiert mit Menschen, die diesen Allmachtsphantasien aufgrund einer angeborenen Behinderung nicht genügen können. Haben sie noch Platz in dieser schönen, heilen Welt?
Udo Sierck kommt in seinem Text Fitnesswahn und Ausgrenzung zu einer nüchternen Antwort auf die obengestellte Frage. In einer Gesellschaft die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts von sozialdarwinistischen Behauptungen 9 geprägt ist (deren trauriger Höhepunkt zweifellos die Massentötungen von Menschen mit Behinderungen im Nationalsozialismus war), in der sich also eine Leistungsethik entwickelt hat, ist wenig Platz für selbstbestimmtes Leben von behinderten Menschen. Gesundheit, Schönheit, Fitness, Leistungsfähigkeit diese Werte sind mit körperlichen/geistigen Handicaps schwer erfüllbar, die Folge ist individuelle und strukturelle Ausgrenzung. Der bioethische Normalisierungsdiskurs führt hier bekannte Entwicklungen nur weiter.
Weitere Beiträge des Buches beschäftigen sich mit ineinandergreifenden Problemen wie Pränataler Diagnostik 10 (hierdurch werden immer mehr unvollkommene und daher unwillkommene, weil behinderte Föten vorgeburtlich erkannt und aussortiert), Organtransplantation (ein weiterer Bereich, der die Vermarktung des Körpers oder seiner Teile täglich vorantreibt), Sterbehilfe (alte und kranke Menschen entsprechen ebenfalls nicht den Leistungskriterien der modernen Welt) und einigem mehr.
Wenig eingegangen wird auf Gegenstrategien. Zwar fordert Kathrin Braun in ihrem Beitrag eine Öffnung der bioethischen ExpertInnendiskussionen, bemerkt aber gleich, dass der Internationalisierung der Forschung in der Biotechnologie nur lokale oder regionale Diskussionen entgegengesetzt werden können. Denn: Je stärker... ein solcher Diskurs ...auf die aktive Partizipation der Gesellschaftsmitglieder ausgerichtet ist und je grundsätzlicher er die Wertungen und Überzeugungen der Mitglieder sowie die Grundstrukturen der Gesellschaft thematisiert, desto mehr ist er auf überschaubare Strukturen angewiesen 11. Direkter Widerstand gegen die menschenfeindlichen Normalisierungstechnologien der HumangenetikerInnen ist rar in dieser Zeit. Die Frauen der Roten Zora erkannten schon in den Achtzigern die Herrschaftstendenzen und ökonomischen Ziele der modernen Biotechnologien. Die Bio- und Gentechnologie ist eine entscheidende Schlüsseltechnologie im gegenwärtigen imperialistischen Umstrukturierungsprozess. Ihre Anwendung in der Nahrungsmittelproduktion (Hungerpolitik), Kriegsforschung, für neue Produktionsverfahren und als soziales Kontroll- und Steuerungsmittel dient allein der Profit- und Herrschaftssicherung. 12. In den Angriffen auf Humangenetische Institute sahen sie die Möglichkeit, der Normierung aktiv etwas entgegenzusetzen. Die Behinderten in Berlin forderten die Schließung der Humangenetischen Beratungsstellen. Diese Einrichtungen sind die Schaltstellen für die gesundheitliche Erfassung möglichst vieler Menschen, für die Selektion von erwünschtem und unerwünschtem Nachwuchs, für die der Idee, alle gesellschaftlichen Probleme vom Alkoholismus über Allergien, Kriminalität und Behinderung seien biologischer Natur und med izinisch reparierbar 13. Nachdem als eine Maßnahme der Repression gegen die Rote Zora und die radikale Linke insgesamt die Beschäftigung mit den Themen Gen- und Reproduktionstechnologie als anschlagsrelevant gebrandmarkt wurde, verschwand linker (militanter) Widerstand fast völlig. Heute ist einzig die Lobbypolitik einiger liberaler Behindertenverbände ein Kritikpunkt an der weiterschreitenden Forschung. Eine Wiederaneignung des Themas durch emanzipatorische Kräfte wäre da wünschenswert!
Zum Buch bleibt zu sagen, dass es einen guten und aktuellen Überblick über die Entwicklungen der Biotechnologie und ethik bietet, auch wenn einige wichtige Diskussionen unbearbeitet bleiben, zum Beispiel die Weitergabe von genetischen Daten an Versicherungen (in den USA wurde jüngst die Vertragsschließung mit einer Versicherung erstmals von Angaben über genetische Erkrankungen hängig gemacht!) oder die Diskussion um die Biologisierung des Sozialen also z.B. die (pseudo)wissenschaftliche Suche nach dem Alkoholiker- oder Homosexuellengen. Trotzdem sehr empfehlenswert und, das Beste, ab sofort im Infoladen Sabotnik ausleihbar.
1 Desoxyribonucleinacid: befindet sich im Zellkern und speichert die Erbinformationen eines Organismus 2 hierauf geht Michael Bentfeld in dem Beitrag Zu den Grundsätzen der ärztlichen Sterbebegleitung näher ein 3 siehe hierzu den Beitrag von Arnold Köpcke-Duttler im Buch 4 S. 185 5 Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur 6 S. 31 7 Befruchtung der Eizelle außerhalb des Körpers im Reagenzglas 8 S. 36 9 S. 73 10 vorgeburtliche Untersuchungen der genetischen Makellosigkeit von Föten 11 S. 184 12 Erklärung der Roten Zora zur Aktion gegen das Humangenetische Institut Münster (August 86) in: Früchte des Zorns, Berlin 1993, S. 617 13 Erklärung der Roten Zora zur Aktion gegen das Humangenetische Institut Münster (Januar 87) in: Früchte des Zorns, Berlin 1993, S. 619f.
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[zum Anfang] * zuletzt aktualisiert am: 06.05.2001 |