Buch des Monats - Oktober
Eine Empfehlung vom Infoladen Sabotnik Erfurt
"Der Kosovo-Krieg: Fakten - Hintergründe - Alternativen" herausgegeben
von Ulrich Albert und Paul Schäfer
Mittlerweile wurden zum Thema Kosovo-Krieg ja unzählige kritische Bücher
veröffentlicht, so daß der Infoladen Sabotnik eigentlich gezwungen wäre,
diesem Thema eine eigene Rubrik der Bibliothek zu widmen. Leider fehlt
uns hierzu das Geld, der vorliegende Band wurde uns freundlicherweise
vom Verlag kostenlos zur Rezension überlassen.
Schon 1999 veröffentlicht, versucht das Buch, den Krieg vor allem aus
der Perspektive der Friedensforschung zu untersuchen. In 13 Beiträgen
werden Themen wie "...Zehn Jahre deutsche Jugoslawienpolitik" (Ralph
Hartmann), "...Wie die NATO die Gewaltspirale im Kosovo verstärkte"
(Jürgen Scheffran), "Menschenrechte und Bomben..." (Elmar Altvater) oder
"Umweltkrieg..." (Knut Krusewitz) behandelt. Der Krieg wird auf seine
Verträglichkeit mit dem Völkerrecht untersucht (Norman Peach), die
"...Metamorphosen der UCK" beschrieben (Matthias Z. Karádi), ein Beitrag
behandelt "...Flucht und Vertreibung" (Michael Kalman) und Stefan Gose
fragt nach dem "...Preis des Krieges". Paul Schäfer zieht schließlich
"...Eine erste Bilanz".
Auch wenn eben Paul Schäfer in seinem Beitrag einen Antiamerikanismus
Definition Angriffskrieg:
Umfassende Aggression gegen einen anderen Staat, eine Staatengruppe oder
ein Bündnis. Heute wird der ~ ethisch mit dem ungerechten Krieg
gleichgesetzt. Das moderne » Völkerrecht stellt ein grundsätzliches
Verbot des ~ auf, unabhängig von den Ursachen des Kriegsentschlusses. In
Art. 2 enthält die Charta der » Vereinten Nationen ein allgemeines
Gewaltverbot. Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland enthält in
Art. 26 Abs. 1 GG ein Verbot des ~. Diese Verfassungsbestimmung ist
normativer Ausdruck der Friedensbereitschaft der Bundesrepublik
Deutschland und steht im Zusammenhang mit der Präambel. Art. 26 GG ist
als Rechtsnorm gerichtet auf die Verhinderung militärischer
Gewaltanwendung zwischen den Völkern. Die Verfassungsnorm ist durch §
80, 80a StGB strafbewehrt. Der Begriff ~ ist nicht identisch mit dem
militärischen Begriff Angriff. Auch in einem Verteidigungskrieg sind
militärische Angriffsoperationen erlaubt. Letztlich verbietet Art. 26 GG
völkerrechtswidrige Streitkräfteeinsätze.
(entnommen der Bundeswehr-CD-Rom "Auftrag: Frieden", 2/99)
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weit von sich weist und verschiedene AutorInnen mehrfach auf die Rolle
Deutschlands gerade bei dem Anerkennungspoker Sloweniens und Kroatiens
eingegehen, sehen die AutorInnen doch die Hauptschuld für die Eskalation
am Balkan bei den USA bzw. bei der USA-dominierten NATO. Diese Ansicht
gipfelt im Schlußsatz des Buches: "Wer die Kriege der Zukunft verhindern
will, muß sich der globalen Dominanz der USA widersetzen. Und für eine
Zivilmacht Europa eintreten" (S.225). Bei dieser Betrachtung wird jedoch
vergessen, daß kein zentraleuropäischer Staat eine solche Politik der
"zivilen Macht" unterstützt. Im Gegenteil wird momentan schwer daran
gearbeitet, eine eigene europäische Interventionstruppe aufzustellen, um
zwar unabhängiger von den USA (bzw. der NATO) agieren zu können, jedoch
mit den selben (kriegerischen) Mitteln! Hier hätte ich eigentlich von
einem Buch, welches sich der Friedensforschung verpflichtet fühlt,
nachvollziehbare Handlungsalternativen erwartet. Z.B. eine
konkretisierende Darstellung zur vielbeschworenen "zivilen
Konfliktbeilegung".
Mehrere Beiträge beschäftigen sich mit den Fehleinschätzungen der NATO
bzw. der kriegführenden Staaten. So wird mehrfach auf den Bruch des
Völkerrechts durch einen nicht UNO-mandatierten Angriff auf einen
souveränen Staat verwiesen. Auch der Bruch des 2+4-Vertrages und des
rot-grünen Koalitionsvertrages durch die BRD wird erläutert. Leider
wurden gerade diese häufig geäußerten Kritiken von den Angesprochenen
jeweils ignoriert (und unterliegen schließlich der jeweiligen
Auslegung). Auch das Hoffen der NATO auf ein schnelles Einlenken
Milosevics wird kritisiert, ebenso die naive Ansicht, zu glauben, mit
einem Bombardement eine "humanitäre Katastrophe" verhindern zu können.
Im Gegenteil beweisen Statistiken, daß die Zahl der Flüchtenden während
es Krieges verzehnfachte (S.132)!
Besonders interessant im Hinblick auf die Rücksichtslosigkeit und
Zerstörungswut der NATO ist der Beitrag über ökologische Folgen des
Krieges (S.142). Hier wird die entscheidende Frage aufgeworfen, ob
zerstörte Chemie- und Elektrokraftwerke, uranverseuchte Böden usw. nun
Begleiterscheinungen einer kriegerischen Auseinandersetzung oder aber
Kriegsverbrechen sind. Obwohl der Autor darlegt, daß das
Zusatzprotokolle I der Genfer Abkommen (über Kriegsrecht) verletzt
wurde, wurde der NATO in der Öffentlichkeit mittlerweile die
uneingeschränkte Absolution erteilt. Keine ihrer "Methoden" wird
geahndet.
Im Beitrag "Der Preis des Krieges" wird deutlich, in welch perverser
finanzpolitischer Logik dieser Krieg geführt wurde. Er kostete nach
Schätzungen bis zu 342 Millionen DM (S.165) pro Tag (nach 79 Kriegstagen
als über 27 Milliarden DM), die alle Angriffsparteien "gern"
investierten. Beim Wiederaufbau sieht es ein wenig anders aus. Hier
unterbieten sich die Schätzungen, besonders die Bundeswehruniversität
München tut sich im Tiefstapeln hervor. So kommt der Autor Stefan Gose
zu dem (wenn auch etwas technokratischen) Schluß, "daß zivile
Konfliktbearbeitung billiger weil nachhaltiger ist"... Bloß die NATO
will das nicht einsehen!
Allerdings fallen auch einige negative Details auf. So wird ganz im
Sinne der Kantherschen und Schilyschen Logik mehrfach von
"Flüchtlingsströmen" geschrieben, also dasselbe Horrorszenario
aufgebaut, vor welchem uns bundesdeutsche Abschottungsstrategen immer
warnen. Und wenn Paul Schäfer davon schreibt, "daß man [die EU, der
Verf.] ohne Aufbauhilfe eine neue Völkerwanderung finanzieren müsse", so
reiht sich dies nahtlos in die rassistische Panikmache des
Bundesinnenministeriums ein.
Einen mit Verlaub echt deutschen Patzer erlaubt sich Horst Grabert, der
in seiner Analyse des Vertrages von Rambouillet schreibt: "Dies
[Rambouillet-Verhandlung, der Verf.] war aber beim besten Willen keine
Verhandlung, auch kein Vorschlag. Früher hat man zu so etwas Diktat
gesagt. Der tschechische Staatspräsident kam zum Diktat nach München.
Und es gab einmal das Diktat von Versailles [sic!]. Das war Munition für
die Rechten und führte zu der schlimmsten Katastrophe." Aha, also tragen
eigentlich die USA (als Alliierte) die Schuld für den
Nationalsozialismus und den 2. Weltkrieg. Na, mit uns könnse ´s ja
machen...!"
Als letztes noch ein paar Bemerkungen zur sogenannten "Operation
Hufeisen". Horst Grabert führt diesen angeblichen Plan Milosevics, das
Kosovo "ethnisch zu säubern" als Argument in seinem Beitrag "Die vielen
Gesichter des Kosovo-Krieges" (S.18) an. Obwohl dieser "Operationsplan"
von vielen vor allem deutschen Politikern veröffentlicht wurde (z.B.:
Fischer, Scharping), muß seine Echtheit stark bezweifelt werden. Nie
konnten Originaldokumente präsentiert werden, immer nur Darstellungen
aus Geheimdienstquellen. Verwunderlich auch, daß der Plan, den Scharping
Bundestag und Presse vorstellte den kroatischen (Potkova), nicht den
serbischen (Potkovica) Namen für Hufeisen trug! Der Plan hatte die
Aufgabe, die nach den Luftangriffen stark erhöhten Flüchtlingszahlen
Milosevic anzulasten, um die eigenen Bombardements zu verteidigen.(1)
Presse und Öffentlichkeit übernahmen die Propagandadarstellungen
widerspruchslos und delegitimierten so jede Kritik am NATO-Krieg.
Gerade ein kritischer Beitrag über den Umgang der Medien mit dem Krieg
fehlt im vorliegenden Buch (auch wenn Paul Schäfer in "Alles paletti" -
Eine erste Bilanz" auf die Medien eingeht).
Alles in allem hinterläßt das Buch eine Menge nützliches Faktenwissen,
in seiner Gesamtheit aber einen recht widersprüchlichen Eindruck.
Der Kosovo-Krieg
Fakten, Hintergründe, Alternativen
Ulrich Albrecht/Paul Schdfer (Hrsg.)
PapyRossa: 1999
225 S.
Fußnote:
(1)Siehe Beiträge von Jürgen Elsässer und Heinz Loquai (Bundeswehrgeneral a.D.) in KONKRET 5/2000
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